60. Todestag Else Ulich-Beil
Else Ulich-Beil: Pionierin der Frauenrechte zwischen Bildung, Politik und Verfolgung

Else Ulich-Beil prägte die Weimarer Republik – und stellte sich mutig dem Nationalsozialismus entgegen.
© Bildnis Else Ulich-Beil (Quelle: ADL, Bestand Fritz Reinhardt Greuner, N99-161)Eigentlich war für Else Beil der „klassische“ Berufsweg vorgezeichnet: Frauen aus bildungsbürgerlichen Haushalten Ende des 19. Jahrhunderts wechselten von der Höheren Mädchenschule ins Lehrerinnenseminar, um dann Volksschullehrerin zu werden, sofern sie nicht den Weg in die Kinderfürsorge und Erziehung wählten. Dies galt nicht anders für die 1886 in Elberfeld Geborene, deren Vater Verlagsredakteur war und bereits verstarb, als Elsa sechs Jahre alt war. Die Mutter ermöglichte dann als Pensionswirtin ihren beiden Töchtern den Zugang zur Bildung – mit dem Ziel der Schullehrerin.
Mit dieser Rolle aber gab sich Else Beil – bei aller Wertschätzung für die Pädagogik – nicht zufrieden. 1909 holte sie als Externe das Abitur nach und nutzte die gerade aufkommenden Chancen für Frauen in Hochschule und Wissenschaft: Mit einem Stipendium begann sie ihr Studium der Philosophie und Geschichte erst in München, dann in Leipzig. Nach der Promotion wurde sie Mitarbeiterin beim führenden und innovativen Kulturhistoriker an der Leipziger Universität, Karl Lamprecht, und begann ihre Arbeit an der Habilitation.
Erster Weltkrieg als Wendepunkt: Verwaltungskarriere und Frauenförderung
Wie auch in manchen anderen Fällen ambitionierter und auch dazu befähigter Wissenschaftlerinnen und gleichzeitigen Frauenrechtlerinnen brachte der Erste Weltkrieg dann die entscheidende berufliche Zäsur. Für Else Ulich-Beil bedeutete dies die Übernahme verantwortungsvoller Verwaltungsämter und schließlich den Eintritt in die aktive Politik. Den Ausschlag für ihren Berufswechsel gab die Chance, ihr Engagement für die Stärkung der Frauenrechte ganz praktisch in der Verwaltung umsetzen zu können. So wurde sie in den ersten Kriegsjahren Direktorin der neu eingerichteten Hochschule für Frauen in Leipzig, und ab 1917 koordinierte sie im Kriegsamt den Arbeitseinsatz von Frauen. Viele tausend Frauen wurden in Tätigkeiten im Handwerk, in der Industrie und der Landwirtschaft vermittelt, die zuvor Männern vorbehalten waren. In diesen Funktionen ebenso wie auch auf anderen ihr unterstellten Feldern, etwa der Gestaltung der Sozial- und Wohlfahrtspflege, erwarb sich Else Ulich-Beil einen hervorragenden Ruf als Organisationstalent und Führungskraft.
Nach dem Krieg setzte sie die begonnene Verwaltungslaufbahn als Oberregierungsrätin für Soziales im Sächsischen Innenministerium fort. Mit Beruf, Heirat, Familiengründung und zwei Kindern entsprach ihre Lebenssituation bald einer „modernen“ Doppelbelastung – ihr Mann widmete sich dem Fortgang seiner wissenschaftlichen Karriere. Gleichzeitig engagierte sich Else Beil am Beginn der Weimarer Demokratie auch politisch in der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP). Politik müsse, so Ulich-Beil, eine selbstverständliche Tätigkeit von Frauen sein, deren Aufgabe sei geradezu „die Mitarbeit und Herbeiführung einer politischen Kultur“. 1919 kandidierte sie im Wahlkreis Leipzig für die Sächsische Volkskammer, gelangte dann als Nachrückerin 1920 ins Parlament und gehörte dem Landtag – mit einer Unterbrechung von zwei Jahren – bis 1929 an.
Einsatz für die Frauenbewegung und internationale Netzwerke
Der bürgerlichen Frauenbewegung fühlte sich Else Ulich-Beil eng verbunden; gewonnen wurde sie für die Bewegung von deren charismatischen Vorkämpferinnen, Helene Lange und Gertrud Bäumer. In der Weimarer Republik erfolgte ihre Wahl in den Vorstand des „Allgemeinen Deutschen Frauenvereins“; sie vertrat diesen häufig auf internationalen Kongressen und Vortragsreisen. Später sollte sie auf Wunsch von Lange deren Nachfolgerin in der Führung des Vereins werden, was Ulich-Beil aber zugunsten ihrer operativen Tätigkeit im Sächsischen Arbeits- und Sozialministerium ablehnte. Doch blieb sie überaus engagiert, etwa mit Ämtern im Bund Deutscher Frauenvereine und im Staatsbürgerinnen-Verband.
Ende der 1920er Jahre verließ Else Ulich-Beil die Landespolitik und wechselte auf die Direktorenstelle einer neu geschaffenen Reforminstitution für die Frauenbildung: der „Sozialen Frauenschule“, einer Bildungsakademie, die als Fort- und Weiterbildungsanstalt in der Trägerschaft des Sächsischen Arbeits- und Wohlfahrtsministeriums gegründet wurde und innerhalb des Dresdner Reformprojektes „Gartenstadt Hellerau" angesiedelt war. Hier schließt sich gleichsam der Kreis für Ulich-Beils sozialen Liberalismus, denn Hellerau war rund zwanzig Jahre zuvor unter dem Einfluss des Deutschen Werkbundes und Friedrich Naumanns gegründet worden. Die neue Aufgabe bestand nun in der Professionalisierung der Frauen-Berufstätigkeit auch über die Bereiche der Wohlfahrtspflege und Fürsorge hinaus. Die Ausbildungsgänge näherten sich mit zwei- bis dreijährigen Schulungen in Theorie und Praxis formal den Lehrjahren männlicher Handwerksbereiche an. Als Leiterin unterrichtete Ulich-Beil auch selbst – in ihren „gelernten“ Fächern Staatskunde und Geschichte.
Verfolgung unter dem Nationalsozialismus: Entlassung und Berufsverbot
Dies währte allerdings nur vier Jahre. Denn geradezu prognostisch waren ihre Befürchtungen, die sie anlässlich der sächsischen Landtagswahl 1930 geäußert hatte: „Nationalsozialisten und Kommunisten wollen die Diktatur. Sie wollen die rohe, einseitige Gewalt an Stelle des selbstgegebenen Gesetzes. Wie wird es in einem Lande aussehen, das von ihnen regiert wird?“ Den Machtantritt der Nationalsozialisten und deren ideologische Abkehr von einer emanzipierten, von liberalem Geist getragenen Frauenbildung überlebte die Bildungsakademie nicht. Bereits 1933 wurde sie geschlossen und ihre Direktorin, die als scharfe Gegnerin des Nationalsozialismus bekannt war, entlassen; zudem wurde Ulich-Beil die weitere Berufsausübung verwehrt und sie persönlich zeitweise unter Polizeiaufsicht gestellt. Begründet wurde dies speziell mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, mit dem die NS-Machthaber nicht nur die Entlassung von Juden aus Staatsdiensten anstrebten, sondern dies auch zur Verdrängung von Frauen aus dem Erwerbsleben und der Besetzung frei werdender Stellen mit männlichen Kandidaten nutzten.
Nach 1945 setzte Else Ulich-Beil ihr frauenrechtliches Engagement zunächst im westlichen Berlin, dann in der Bundesrepublik fort, unter anderem als Vorsitzende des „Deutschen Frauenrings“ und des „Deutschen Staatsbürgerinnen-Verbandes“, ebenso wie sie auch wieder Mitglied im organisierten Liberalismus, der LDP bzw. FDP, wurde. Vor sechzig Jahren, am 4. Mai 1965, verstarb die Politikerin und Frauenrechtlerin, die sich zeitlebens für die liberale Demokratie, für Rechtsstaatlichkeit und Gleichberechtigung eingesetzt hat.