EN

70 Jahre deutsche NATO-Mitgliedschaft
70 Jahre in der NATO: Deutschlands Weg vom Sicherheitsrisiko zum Sicherheitsgaranten

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Nato-Generalsekretär Mark Rutte stehen bei einer Kranzniederlegung vor dem Hautquartier der Nato. Bei einem Festakt wurde dort an den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur Nato am am 6. Mai 1955.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Nato-Generalsekretär Mark Rutte stehen bei einer Kranzniederlegung vor dem Hautquartier der Nato. Bei einem Festakt wurde dort an den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur Nato am am 6. Mai 1955.

© picture alliance/dpa | Ansgar Haase

Vom ersten Generalsekretär der NATO, Lord Ismay, ist das Bonmot überliefert, der Sinn der NATO sei „to keep the Americans in, the Russians out and Germany down“. Gemeint war der Platz der USA, Russlands und Deutschlands in Europa. Viel Zeit ist seitdem vergangen und am 6. Mai 2025 jährt sich Deutschlands Beitritt zur NATO zum 70. Mal. Anlass genug, sich einmal vertieft mit Deutschlands Rolle in der NATO und in der Welt auseinanderzusetzen.

 

Nachdem am 5. Mai 1955 die vom Bundestag am 27. Februar desselben Jahres ratifizierten Pariser Verträge in Kraft traten, wurde die Bundesrepublik Deutschland am 6. Mai 1955 feierlich in die NATO aufgenommen. Vorangegangen waren dem Beitritt hitzige öffentliche Debatten um die für eine NATO-Mitgliedschaft notwendige Wiederbewaffnung sowie über die möglichen Konsequenzen des NATO-Beitritts auf die seit 1949 bestehende deutsche Teilung.

Schon diese ersten Schritte der Bundesrepublik hinein in die NATO verdeutlichen, wie eng die Entwicklung Deutschlands mit der NATO verknüpft ist. Die Aufnahme (West-) Deutschlands in die NATO im Jahr 1955 geschah wesentlich vor dem Hintergrund der Systemrivalität zwischen der Sowjetunion und dem Westen und war somit vor allem der Weltlage geschuldet. Dennoch kann die Bedeutung der Integration der Bundesrepublik in die NATO - nur 10 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und des Holocausts – in ihrer Bedeutung nicht unterschätzt werden, stellte sie doch neben dem in den 1950er Jahren ebenfalls entstehenden europäischen Einigungsprozess einen wichtigen Schritt hin zur Reintegration Deutschlands in die internationale Staatengemeinschaft dar.

Deutschland richtet sich an der NATO aus

Die enge Verknüpfung der Entwicklung der deutschen Außen- und Verteidigungspolitik mit der Entwicklung der NATO lässt sich vor allem an zwei Aspekten festmachen: (1) An der jeweils an den Bedarfen der NATO ausgerichteten Struktur der Bundeswehr und (2) daran, dass viele der großen gesellschaftlichen Debatten in der Geschichte der Bundesrepublik, seien es die bereits erwähnte Debatte um die Wiederbewaffnung oder später die Proteste im Bonner Hofgarten gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen, direkt oder indirekt mit der NATO zusammenhingen.

Von Anfang an war die Bundeswehr als Bündnisarmee konzipiert. In der Anfangszeit bedeutete dies, dass ihr die Aufgabe zukam, das Bündnisgebiet an vorderster Front und eingebunden in das Bündnis zu verteidigen. Entsprechend war die Strukturierung der Streitkräfte auf eine Konfrontation in einem Peer-to-Peer Konflikt mit der Sowjetunion bzw. dem Warschauer Pakt ausgerichtet. Mit der Wiedervereinigung und dem Ende der Sowjetunion fiel mit dem Wegfall der Bedrohung an der Ostflanke auch die empfundene Notwendigkeit zum Aufrechterhalten großer Truppenkontingente zur Landes- und Bündnisverteidigung weg. Zeitweise schien es, als sei die größte verbleibende Herausforderung für die Bundeswehr die Integration von Teilen der Nationalen Volksarmee infolge der Wiedervereinigung. Entsprechend waren die 1990er Jahre geprägt von einer Sinnsuche der NATO auf der einen Seite und einer Reduzierung der Verteidigungsausgaben auf deutscher Seite. Letzteres wurde seitens der NATO und insbesondere seitens der USA zwar kritisiert, die fortschreitende Aufnahme von osteuropäischen Staaten verstärkte in der deutschen Politik und Öffentlichkeit jedoch den Eindruck, nur noch von Freunden umgeben zu sein. Entsprechend leicht fiel es der Bundesregierung, die Forderungen von Verbündeten nach höheren Verteidigungsausgaben zu ignorieren und seit 1992 durchgehend weniger als 2 Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben. Die 2 Prozent-Zielmarke wurde erst 2014 formal auf einem NATO-Gipfel beschlossen, Forderungen nach höheren Verteidigungsausgaben bestanden aber schon länger.

Von der Territorialverteidigung zum internationalen Krisenmanagement

Zwar waren die 1990er Jahre für Deutschland von einer Reduzierung der Verteidigungsausgaben geprägt, parallel dazu kam es jedoch im Rahmen der Sinnsuche der NATO auch zu den ersten Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Erst waren diese auf das NATO-Gebiet beschränkt. Nach Verfassungsgerichtlicher Klärung folgten dann auch Beteiligungen an Einsätzen außerhalb des Bündnisgebiets. So fanden zwei der längsten deutschen Auslandseinsätze KFOR (Kosovo-Einsatz, bis heute) und das Afghanistan Engagement (bis 2021) unter dem Dach der NATO statt. Letzterer als Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 und damit infolge der bisher einzigen Auslösung von Artikel 5 der NATO-Verträge – Bündnisfall und Beistandspflicht. Spätestens während des Afghanistan-Einsatzes wandelte sich die Bundeswehr entlang der Anforderungen der NATO zu einer Einsatzarmee, die in ihrer Struktur maßgeblich auf Einsätze im Rahmen des Internationalen Krisenmanagements ausgelegt war.

Dass sich die Bundesrepublik seit dem Ende des Kalten Krieges überwiegend auf Wirtschaftswachstum, den Ausbau des Sozialstaates und Einsätze im Krisenmanagement konzentrieren und es sich leisten konnte, wenig in die Landesverteidigung zu investieren, verdankt Deutschland der EU und der NATO. Wie sicher man sich durch das Bündnis in Deutschland fühlte, zeigt sich beispielhaft daran, dass man es trotz der seit 2014 andauernden russischen Aggression gegen die Ukraine erst nach der russischen Vollinvasion 2022 für nötig hielt, mit der Aktualisierung der zuletzt 1989 gefassten Rahmenrichtlinie zur Gesamtverteidigung zu beginnen. Dies veranschaulicht, wie lange Deutschland in der NATO mehr Empfänger von Sicherheit denn Sicherheitsgeber war. Inzwischen ist Deutschland, wie unter anderem das Engagement im Baltikum zeigt, langsam auf dem Weg zur Anlehnungsmacht und damit zum Sicherheitsgeber, auch wenn Anspruch und Wirklichkeit trotz der Beschlüsse zum Sondervermögen momentan noch sehr auseinanderklaffen.

Vom langen Frieden hin zu neuen Herausforderungen

Die NATO ist ein einzigartiges Bündniskonstrukt, das in nie dagewesener Weise freiwillige Integration und Standardisierung von militärischen Fähigkeiten souveräner Staaten hervorgebracht hat und das den europäischen Staaten gemeinsam mit der Begründung und fortgesetzten Integration innerhalb der EU eine für den europäischen Kontinent selten lange Friedensperiode bescherte.

70 Jahre nach Deutschlands Beitritt zur NATO und 76 Jahre nach ihrer Gründung steht die Allianz vor neuen Herausforderungen. Zwar ist sie als Verteidigungsbündnis geeint wie lange nicht und hat aufgrund der Bedrohung durch Putins Russland sogar mit Finnland und Schweden zwei während des Kalten Kriegs neutrale Staaten hinzugewonnen. Gleichzeitig stehen die europäischen NATO-Staaten jedoch vor der Herausforderung, dass sich die Rolle der USA in der NATO nachhaltig zu verändern droht. Schon seit längerem wenden sich die USA verstärkt dem pazifischen Raum zu und drängen darauf, dass sich zuvorderst die Europäer um die europäische Sicherheit kümmern. Hinzu kommt, dass sich die USA in der zweiten Amtszeit von Präsident Trump auch ideell aus dem demokratischen Westen zurückzuziehen drohen. Zwar war die NATO nie die Wertegemeinschaft, als die sie sich in der Zeit nach dem Ende des Kalten Krieges zu definieren suchte. Dass sich das wichtigste NATO-Mitglied von grundlegenden Werten westlicher Demokratien entfremden könnte, stellt das Bündnis jedoch anders auf die Probe, als dies bei weniger gewichtigen Bündnispartnern der Fall ist.

Vor allem für Deutschland, das für militärisches Handeln qua Grundgesetz auf funktionierende internationale Organisationen angewiesen ist, stellen die zunehmende sicherheitspolitische Handlungsunfähigkeit der Vereinten Nationen und die Geschlossenheitsprobleme in der NATO, aber auch in der EU, große Herausforderungen dar. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, könnte es nötig werden, die in Artikel 24 (2) GG festgeschriebenen Systeme „gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ in der Verfassungspraxis weitgehender auszulegen als bisher. Auf diese Weise ließen sich die – vor allem unterhalb von der Eskalationsschwelle der Beistandsklauseln der NATO und der EU denkbaren – Blockaden internationaler Organisationen leichter bewältigen. Denn dann wären auch deutsche Beteiligungen an Koalitionen der Willigen, die nicht institutionell von der EU oder NATO, aber dafür von maßgeblichen Mitgliedstaaten getragen werden, möglich. Dies würde Deutschlands Zuverlässigkeit als Bündnispartner stärken.

70 Jahre später – trotz aller Schwierigkeiten ein Grund zum Feiern

70 Jahre nach Deutschlands Aufnahme in die NATO sind zwei der drei im eingangs zitierten Bonmot Lord Ismays formulierten Ziele der NATO aktueller denn je. Die NATO kehrt, ausgelöst durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine, nach Jahrzehnten der Sinnsuche und des „Global War on Terror“ wieder zu ihren Wurzeln als Bündnis zur territorialen Verteidigung zurück. Die Mitgliedsstaaten müssen sich dabei, ausgelöst durch die Interessenverschiebung der USA in Richtung Pazifik und eine zunehmend als erratisch wahrgenommene US-Administration, wieder verstärkt der Frage widmen, wie das amerikanische Engagement in Europa bewahrt werden kann. Im Kontrast dazu hat sich der Blick der NATO-Staaten auf Deutschland grundlegend verändert.

Deutschland hat sich aus einem Staat, dem die europäischen Staaten mit berechtigten Misstrauen begegneten, zu einem Staat entwickelt, der weithin Vertrauen genießt. Vor 70 Jahren, als Deutschlands Weg in der NATO begann, wäre es undenkbar gewesen, dass Staaten wie Frankreich und Polen mehr militärisches Engagement von Deutschland fordern oder gar, dass sich ein Land wie Litauen von der Stationierung deutscher Soldaten mehr Sicherheit verspricht. Dieser Umstand ist auch maßgeblich der NATO zu verdanken.

Deutsche Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik war seit der Gründung der Bundesrepublik (und auch der DDR) immer von Bündnissen geprägt und ist für deren Erfolg seit jeher auf internationale Institutionen angewiesen. Für die Bundesrepublik sind die drei prägendsten Institutionen die UN, die EU und die NATO. In letzterer jährt sich am 6. Mai die Mitgliedschaft zum 70. Mal. Allen Herausforderungen zum Trotz, ein Grund zu feiern.

OSZAR »