UK-EU-Gipfel
Geostrategie macht’s möglich!

Der Präsident des Europäischen Rates Antonio Costa (von links), der britische Premierminister Keir Starmer und die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen nach dem Gipfeltreffen zwischen Großbritannien und der EU.
© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Stefan RousseauOkay, es ist nur ein erster Schritt. Aber immerhin: Das Vereinigte Königreich und die Europäische Union haben bei einem ersten Gipfeltreffen seit dem Brexit vor fünf Jahren eine Annäherung in einer Reihe von Gebieten vereinbart. Diese stieß sofort auf lautstarke Kritik der politischen Rechten auf der britischen Insel – von europaskeptischen Tories bis zur Reform UK-Partei des Nigel Farage, die gerade erst bei den Kommunalwahlen sehr gut abgeschnitten hat – u. a. mit den üblichen Themen rund um die Überfremdung von „Little England“ mit Migranten von außerhalb der Insel. Und auch in Europa, vor allem in Frankreich, gibt es Skeptiker, die den Briten auch heute noch keinerlei Rosinenpicken auf Kosten eigener „nationaler“ Interessen vor allem der Landwirte erlauben wollen.
Solche Stimmen sollten ungehört bleiben. Zu wichtig sind die geostrategischen Aufgaben, die britische und europäische Interessen zusammenbinden. Putins Angriff auf die Ukraine seit 2022 und Trumps Kehrtwendung hin zu Russland 2025 haben endgültig die NATO vor völlig neue Herausforderungen gestellt: Putins Russland bedroht die Sicherheit von ganz Europa, und Trumps Amerika fällt als verlässlicher Partner der Verteidigung der Freiheit auf absehbare Zeit aus, vielleicht sogar für immer. Alle europäischen Länder müssen deshalb kräftig aufrüsten, mehr als drei Prozent Anteil des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung werden wohl die Norm – und nicht wie bisher die Ausnahme. Das wird allerdings nicht ausreichen. Es bedarf auch einer Integration der europäischen Märkte für Rüstungsgüter, und zwar einschließlich britischer Produzenten, die in bestimmten Sparten der Militärtechnologie führend sind, während auf dem Kontinent – je nach Land – die Schwerpunkte und Stärken anders liegen. In einer pan-europäischen Arbeitsteilung ruhen noch enorme Effizienzgewinne, die in anderen, weniger sensiblen Bereichen längst verwirklicht wurden.
Es ist deshalb nicht nur innenpolitisch opportun, sondern auch sachlich richtig, wenn der britische Premier Keir Starmer diese Potenziale der engeren Zusammenarbeit in den Vordergrund rückt – u. a. durch Abkommen zur Cybersicherheit und zum Schutz von Seeverkehr und Unterseekabeln. Mehr muss folgen, vor allem im Bereich der Rüstungsmärkte, aber auch in ganz anderen Feldern der Zusammenarbeit der Wissenschaft und der Mobilität von Studierenden und Fachkräften, die unter dem Brexit schwer gelitten haben. Großbritannien bleibt eben eine Nation mit europäischen Werten der Freiheit, mehr als so manches Mitgliedsland der EU – man denke nur an Viktor Orbáns Ungarn.
Tatsächlich könnte die Post-Brexit-Annäherung zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union ein Vorbild werden für Projekte der „variablen Geometrie“. Zunehmend könnten Länder, die sich als liberale Wertepartner verstehen, Koalitionen der Willigen („coalitions of the willing“) bilden, um unabhängig von sonstigen Interessen und vertraglichen Verpflichtungen einen pragmatischen Verbund zu bilden. Und zwar nicht nur auf dem europäischen Kontinent, sondern auch global.